Sebastian Krumbiegel
Foto: Enrico Meyer

GVL: Die Menschen gehen seit einigen Wochen auf die Straßen, um gegen Menschenfeindlichkeit und Ausgrenzung zu demonstrieren. Zivilgesellschaftliches Engagement ist derzeit gefragt. Was meinen Sie, können Künstler*innen mit Blick auf die aktuellen Entwicklungen leisten?

Sebastian Krumbiegel: Erstmal denke ich, dass sich Künstlerinnen und Künstler in ihrer Rolle diesbezüglich nicht überschätzen sollten. Sie sollten sich aber auch nicht unterschätzen. Natürlich ist es jedem selbst überlassen, wie sehr er oder sie sich in politische Diskussionen einmischt. In erster Linie sind wir Entertainer und unser Beruf besteht vor allem darin, das Publikum zu unterhalten. Allerdings habe ich irgendwann mal für mich entdeckt, dass in dem Wort Unterhaltung das Wort Haltung drinsteckt. Wir leben gerade in unruhigen Zeiten, und ich denke, dass es ein Irrtum ist, sich politisch raus zu halten. Ich denke, dass wir uns alle – völlig unabhängig von unseren Berufen – darüber im Klaren sein sollten, dass wir, im Gegensatz zu den meisten Menschen auf diesem Planeten, das Glück haben, in einem Land zu leben, das uns erstmal in Frieden leben lässt, das uns sehr viele Freiheiten gewährt – in einem Land, in dem es Grundrechte gibt, die für alle gelten, in dem es Minderheitenschutz gibt. Das alles ist keine Selbstverständlichkeit, dafür müssen wir uns immer wieder gerade machen – gerade dann, wenn es politische Bestrebungen gibt, dieses System infrage zu stellen oder gar ganz abzuschaffen. Natürlich ist auch bei uns nicht alles wunderbar, es gibt Dinge, die schief laufen, aber wir haben die Möglichkeit uns dagegen zu wehren. Das nennen wir Demokratie, und um die müssen wir uns jeden Tag aufs Neue kümmern. Die Demokratie ist eine Errungenschaft, für die die Menschheit lange und mit vielen Opfern gekämpft hat. Es gibt keine bessere Staatsform, aber sie ist eben kein Selbstläufer.

Wir alle sind dazu angehalten, uns klar für einen respektvollen, menschenfreundlichen und möglichst liebevollen Umgang miteinander stark zu machen.

Wie sehen Sie die Verantwortung jedes Einzelnen, unabhängig vom Beruf, in Bezug auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt?

Natürlich haben Leute, die auf Bühnen gehen, eine andere „Reichweite“, und natürlich ist Kunst und Kultur immer auch auf eine Art emotional, und dadurch kann man die Leute vor der Bühne auch anders erreichen oder berühren als das z.B. ein Taxifahrer oder eine Verkäuferin kann. Aber auch die reden mit Menschen, auch die können Dinge bewegen. 

Es kommt eben immer auf den Inhalt an, ganz gleich, ob du als Lehrerin, als Arzt, als Journalistin, als Architekt oder eben als „klassischer Künstler“ arbeitest. Wir alle sind dazu angehalten, uns klar für einen respektvollen, menschenfreundlichen und möglichst liebevollen Umgang miteinander stark zu machen. 

Haben Prominente eine Vorbildfunktion oder sind es eben auch nur Menschen?

Ich weiß natürlich, dass Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, auch so was wie eine Vorbildfunktion haben. Das habe ich für mich persönlich eigentlich immer abgelehnt, aber wenn ich ehrlich bin, muss ich dem – ob ich es nun will oder nicht – auf irgendeine Weise auch gerecht werden. Für mich ist es wichtig, mir immer wieder selbst vor Augen zu halten, dass ich selbst oft keine Antworten habe, dass ich selbst ein Fragender oder ein Suchender bin. Ich kann und will niemandem vorschreiben, was er oder sie zu denken hat, ich will nur meine Meinung sagen, will Leute unterstützen, deren Haltung ich gut finde, und mich andererseits eben auch klar gegen Leute stellen, deren Haltung ich ablehne. Dafür den richtigen Kompass zu haben, ist jeden Tag aufs Neue eine Herausforderung, und ich möchte mir auch zugestehen, bei schwierigen, komplexen Themen ab und zu lieber mal den Mund zu halten. Meine Grundüberzeugung – und das klingt jetzt vielleicht pathetisch – ist auf jeden Fall, positiv und optimistisch zu bleiben, auch wenn mir das in letzter Zeit manchmal schwerfällt. Aber als Grundkonsens für Zuversicht, für Respekt, für die Liebe und gegen menschenverachtende, hassende, ausgrenzende Inhalte zu stehen, das ist, und davon bin ich zutiefst überzeugt, erstmal der richtige Weg.

Während Ihrer gesamten künstlerischen Karriere bereits engagieren Sie sich persönlich gegen rechts und geben Ihre Stimme für eine starke Demokratie. Hat sich Ihr Einsatz in den vergangenen Jahren verändert, und wenn ja, inwiefern? 

Der Wind ist rauer geworden, der Ton schärfer, und es wird mit härteren Bandagen gekämpft – das bemerken wir ja gerade alle. Das hat sicher viel mit der Anonymität der digitalen Welt zu tun, aber auch viel mit einer allgemeinen Radikalisierung der Diskussions- oder Gesprächskultur. Mittlerweile sind im öffentlichen Raum, also in Talkshows, in Parlamenten, in Chatgruppen oder auf dubiosen, verschwörungserzählerischen Webseiten Dinge sagbar, die vor gar nicht so langer Zeit noch unsagbar gewesen wären. Es scheint oft bei vielen Themen nur noch zwei Seiten zu geben – bist du dafür oder dagegen, und das ist natürlich Unsinn, weil unser Leben und unsere Welt komplex und oft sehr kompliziert sind. 

Schwierige Fragen mit leichten Antworten zu bedienen, scheint verlockend zu sein, ist aber eine böse Falle. Populistische Scharfmacher nutzen das aus und bringen dadurch Unfrieden und Hass unter die Leute. Dieser Kurs spielt oft unterschiedliche Menschengruppen gegeneinander aus. Es ist so leicht, zu behaupten, dass an vielen Problemen „die ganzen Ausländer“ schuld sind, und es ist gleichzeitig brandgefährlich. Wir alle beobachten, dass die Welt zusammenwächst, dass es durch die vielen technischen Möglichkeiten heute leicht ist, in Echtzeit zu erfahren, was auf der anderen Seite vom Globus gerade passiert. Dass es nicht immer reibungslos abgeht, wenn unterschiedliche Kulturen aufeinandertreffen, ist doch logisch. Aber wir sollten deshalb nicht daraus schlussfolgern, dass es nicht möglich ist, miteinander klar zu kommen. Wir sollten versuchen, offen und neugierig zu bleiben, denn nur so können wir all die Probleme, die es immer wieder geben wird, meistern. Das wird nie funktionieren, wenn wir einander reflexhaft ablehnen, nur weil wir vermeintlich anders sind als andere, es wird nur funktionieren, wenn wir auf einander zu gehen, wenn wir versuchen, einander zu verstehen. Auch auf die Gefahr hin, dass das jetzt naiv klingt, ich bin wirklich davon überzeugt, dass das die einzige Möglichkeit ist, einigermaßen aus diesem Schlamassel rauszukommen, in das wir uns da rein manövriert haben. Der Planet steht in Flammen, kluge Menschen rechnen uns vor, was mit unserem Klima passiert und wie lange das noch einigermaßen gut gehen kann und wir haben nichts Besseres zu tun als Mauern zu bauen, nationalistisch zu denken und zu handeln, einen Krieg nach dem anderen vom Zaun zu brechen und alles kaputt zu machen – ich verstehe es wirklich nicht und frage mich, wohin wir gerade gehen. Aber in dieser Situation nicht aufzugeben, in dieser Situation immer wieder drauf aufmerksam zu machen, dass wir umdenken sollten, darum geht es. Ich kann auf jeden Fall den Zorn der jungen Generation verstehen und finde es unterm Strich bewundernswert, was z.B. die „Letzte Generation“ macht. Ziviler Ungehorsam – da bin ich echt Fan von. Wenn ich so was öffentlich sage, dann ist mir der nächste Shitstorm sicher – ja – der Wind ist rauer geworden, was uns aber nicht davon abhalten sollte, weiterzumachen.
 

Die Welt ist bunt, und wir sollten diese Vielfalt nutzen, denn nur so können neue, spannende Sachen entstehen.

Als Verwertungsgesellschaft, deren Berechtigte ihre Wurzeln weltweit haben, legen wir großen Wert auf gesellschaftliche und kulturelle Vielfalt. Welche Bedeutung hat diese Vielfalt für kreatives Schaffen? 

Erstmal bin ich davon überzeugt, dass diese Vielfalt ein großer Schatz ist, dass wir die unterschiedlichen Kulturen pflegen und bewahren sollten. 

Die Welt ist bunt, und wir sollten diese Vielfalt nutzen, denn nur so können neue, spannende Sachen entstehen. Wichtig ist dabei allerdings immer der respektvolle Umgang mit der jeweiligen Kultur, aber das ist sowieso die Grundvoraussetzung für jede Art von Kunst und Kultur, das sollte Teil der DNA von Kunst und Kultur sein, sonst ist es keine Kultur, sonst ist es eben kulturlos.

Sie sind seit 1990 Berechtigter der GVL. Welche Rolle spielt die GVL für Sie als Künstler?

Genau wie ich es wichtig finde, das Urheberrecht zu schützen und zu verteidigen, genauso ist es wichtig, die ausübenden Künstlerinnen und Künstler, also die reproduzierenden zu wertschätzen. Regie, Schauspielerei, Tanz, instrumentale Darbietung oder Gesang, auch die Veranstaltenden hinter den Kulissen – all diese Menschen müssen für das, was sie leisten, auch bezahlt werden. Ohne all diese Menschen würde es früher oder später keine Kunst und keine Kultur mehr geben, und wenn wir das zu Ende denken, dann kommen wir schnell zu dem Schluss, dass wir zu kulturlosen Menschen werden würden, und das wäre doch eine schreckliche Welt. 

Blicken wir in die Zukunft: Was wünschen Sie sich von Ihrer GVL?

Die Herausforderungen sind groß. Vor allem die Digitalisierung könnte, wenn wir uns nicht angemessen darum kümmern, eine Falle werden. Aber nur dann, wenn wir uns eine Gratis-Mentalität für Kunst und Kultur angewöhnen, und an diesem Punkt ist jeder einzelne gefragt, der Kunst und Kultur konsumiert – und das sind wir alle. 

Natürlich muss auch die Politik in die Pflicht genommen werden. Die Welt verändert sich gerade rasant, und es muss für viele neue Dinge eben auch neue Spielregeln geben. 

Es heißt zwar immer: Der Applaus ist das Brot des Künstlers – und da ist auch sehr viel Wahres dran! – aber es reicht eben nicht aus.

Alles, was uns vielleicht mittlerweile selbstverständlich vorkommt, hat einen Wert und uns allen sollte klar sein, dass auch Kunst und Kultur einen Wert haben. Auch wenn es immer sehr leicht und locker wirkt, wenn wir uns ein Konzert, einen Film oder ein Ballett reinziehen – hinter all diesen Dingen steckt Arbeit. Und auch wenn ich von mir sagen kann, dass ich mein Hobby zum Beruf gemacht habe und das, was ich mache, extrem gern mache – ich kann das nur machen, wenn ich mir dafür Zeit nehme, wenn ich mich z.B. ans Klavier setze und mir etwas ausdenke, wenn ich dann ins Studio gehe und es aufnehme oder eben auf die Bühne und dort mein Ding mache. Es heißt zwar immer: Der Applaus ist das Brot des Künstlers – und da ist auch sehr viel Wahres dran! – aber es reicht eben nicht aus. 

Die Idee, während der Corona-Pandemie für all die Pflegekräfte zu applaudieren, war doch echt doof. So sollten wir uns gefälligst darum kümmern, dass diese Leute angemessen bezahlt werden, sonst macht das irgendwann niemand mehr – und das gilt für alle Berufe, auch für den Kulturbetrieb. 

Also, was wünsche ich mir von der GVL? Weiter machen und vor allem mit der Zeit gehen. Aber ich denke, das macht ihr schon – es ist ja euer Beruf ;-)

Sebastian Krumbiegel Buch

Über Sebastian Krumbiegel

Sebastian Krumbiegel ist Musiker und wurde als Sänger der Band „Die Prinzen“ bekannt. Der gebürtige Leipziger ist seit 1990 Berechtigter der GVL.

 

Buchtipp: "Meine Stimme – Zwischen Haltung und Unterhaltung"

Am 22. März erscheint Sebastian Krumbiegels neues Buch „Meine Stimme – Zwischen Haltung und Unterhaltung“. Die Autobiografie des Sängers zeichnet seinen Werdegang nach und unterstreicht sein Ziel: Haltung zeigen – gegen rechts, für Menschenrechte und Zivilcourage. 

Der Text ist zu lang? Hier die Zusammenfassung des Interviews:

Künstlerinnen und Künstler haben in ihrer Rolle als Prominente zwar eine Vorbildfunktion, alle Menschen sind aber dazu angehalten, sich klar für einen respektvollen, menschenfreundlichen und möglichst liebevollen Umgang miteinander stark zu machen, so Sebastian Krumbiegel. Auch der respektvolle Umgang mit der jeweiligen Kultur als Grundvoraussetzung für jede Art von Kunst gehört dazu. Wenn man diese Vielfalt nutzt, können neue, spannende Sachen entstehen.
Der gesellschaftliche Diskurs hat sich aus Sicht von Sebastian Krumbiegel verschärft. So scheint es bei vielen Themen nur noch zwei Seiten zu geben – dafür oder dagegen. Schwierige Fragen mit leichten Antworten zu bedienen, scheint verlockend, ist aber eine Falle, so der Musiker. Statt alles reflexhaft abzulehnen, sollten Menschen versuchen, offen und neugierig zu bleiben, denn nur so können die Probleme, die es immer wieder geben wird, gemeistert werden.

 

Das klingt spannend! Ich will doch das ganze Interview lesen.